Kirche soll keinen "Schmusekurs" fahren

Veröffentlicht am 21.01.2011 in Kreisverband

Podiumsdiskussion in der Akademie Bad Boll

JÜRGEN SCHÄFER, Neue Württembergische Zeitung

Bad Boll. Eine unerwartete Wucht bekam die Frage "Wie viel Kirche braucht der Staat" bei einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Akademie Bad Boll.

Der SPD-Parlamentarier Ingo Rust aus dem Wahlkreis Eppingen, in der Kirche verwurzelt und kirchenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, hat die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat schon landauf landab gestellt und kam damit jetzt auch in den Kreis Göppingen. In der Akademie Bad Boll erlebte er etwas Neues: Hier interessierte sich das Publikum mehr für die Frage "Welche Kirche braucht der Staat?" Die Zuhörer, ebenfalls mit der Kirche verbunden oder selbst im Kirchendienst, ob aktiv oder im Ruhestand, wünschten sich eine andere Kirche: eine, die die sozialen Problem schärfer benenne und weniger "Schmusekurs" mit dem Staat praktiziere. Mehrmals verwiesen Teilnehmer auf die Kirche in der DDR, die gegen das Unrecht auftrat. "Davon könnte sich unsere Kirche eine Scheibe abschneiden", sagte ein Pfarrer aus dem Raum Geislingen. Beispiele, die angeführt wurden: die Hartz-IV-Debatte, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, der Afghanistan-Einsatz, Schutz des ungeborenen Lebens, Präimplantationsdiagnostik. Strittig war, ob die Kirche bei Stuttgart 21 Partei ergreifen soll. Diese Auffassung wies der Parlamentarier Rust zurück. In diesem Fall habe die Kirche die Aufgabe, zu vermitteln und mäßigend auf die Schärfe der Auseinandersetzung einzuwirken.

Rust übte seinerseits Kritik an der Landeskirche. Sie sei viel zu angepasst gewesen beim Thema Sonntagsverkauf, sie habe den Kompromiss vorweggenommen statt ihre theologische Position zu vertreten. Die Geislinger Dekanin Gerlinde Hühn nahm die Kirche hingegen in Schutz. Diese sei nicht übermäßig angepasst. Man habe einen kirchenfreundlichen Staat und ein gegenseitig zugewandtes Verhältnis. "Ich wünsche mir, dass das so bleibt." Sie widersprach auch dem Bild von der Kirche in der DDR. Diese sei sehr wohl auch angepasst gewesen.

Der Direktor der Akademie Bad Boll, Joachim Beck, befürwortete eine "kritische Partnerschaft" von Kirche und Staat, die werteorientiert begründet sein müsse. Kirche müsse mahnen bei Themen wie Hartz IV, Bildungsgerechtigkeit oder Afghanistan, Kirche sei die Stimme für die Stummen. Sein Credo: Christen müssten sich auch um weltliche Dinge kümmern. Das ist auch Rusts Grundhaltung. Er würdigte Pfarrer Christoph Blumhardt, der in Bad Boll wirkte und beide Welten verbinden wollte.

Dass die Kirche ihren Platz bei der Diakonie und in der Erziehung und Bildung habe, war unstrittig. Der katholische Pfarrer von Sankt Maria in Göppingen, Jürgen Sauter, wies auch auf eine historische Leistung der Kirche hin: Sie habe die Vorstellungen von Freiheit und der Würde des Menschen entwickelt. Er wehrte sich gegen den Verdacht, dass der katholische Religionsunterricht "papistisch" und nach einem Dogma-Fahrplan gehalten würde. "Das hat bei uns auch eine Bandbreite."

Stichwort Religionsunterricht: Ob der Staat auch einen islamischen anbieten müsse, fragte der SPD-Kreisvorsitzende und Diskussionsleiter Sascha Binder. "Ja, wir brauchen ihn", erklärte Rust, "wir sind uns auch einig im Landtag." Und zwar einen in deutscher Sprache unter staatlicher Aufsicht.

 

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